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Die
Veröffentlichung dieses Artikels wurde durch
die
Großzügigkeit der Stiftung de Brzezie Lanckoronski ermöglicht.
Am 14. Juni 1940 marschierten die Deutschen
in Paris ein, am selben Tag wurden die Tore des deutschen
Vernichtungslagers in Auschwitz geöffnet. Der erste Transport
von 728 Gefangenen traf ein. Es waren ausschließlich Polen,
meistens junge Menschen, die bei den Versuchen festgenommen
wurden, sich zu der in Frankreich neu formierenden polnischen
Armee durchzuschlagen.
Später begannen die Transporte nicht mehr
ausschließlich aus Polen, sondern aus vielen anderen Ländern
einzutreffen, letztendlich kamen die Vertreter von 30
Nationalitäten nach Auschwitz. Die Zahl der Gefangenen, die eine
Nummer erhielten, überschritt 500 000 Personen, doch viele
ausschließlich jüdische Transporte führte man direkt in die
Gaskammern, ohne sie mit Nummern zu versehen. In den Jahren
1942, 1943 und 1944 erreichte ihre Zahl anderthalb Millionen.
Im September 1940 traf im Lager ein
Transport aus Warschau ein, in dem sich der Häftling
Oberleutnant Witold Pilecki befand. Er war ein Mitglied der
Untergrundorganisation Geheime Armee Polens (Tajna Armia Polska),
die sich später der Heimatarmee (AK) anschloss. Er ließ sich
absichtlich während einer Straßenrazzia aufgreifen, um nach
Auschwitz zu gelangen, um dort eine Untergrundorganisation ins
Leben zu rufen. Dabei benutzte er gefälschte Dokumente, im Lager
war er als Tomasz Serafinski bekannt.
In einem nach dem Krieg verfassten Bericht
formulierte er seine Ziele in Kurzform wie folgt:
„Die Gründung einer militärischen Organisation
im Lager mit den Zielen:
 | Das moralische Aufrichten der Kameraden und das Liefern
von Nachrichten von außerhalb des Lagers |
 | Die Organisation von zusätzlicher Verpflegung und die
Verteilung von Kleidung unter den Organisierten |
 | Die Vorbereitung eigener Abteilungen für die Eroberung
des Lagers, wenn die Zeit reif dafür sein wird, sei es in
Form von Waffen oder menschlicher Unterstützung
(Landungstrupp)". |
Die Geheimorganisation, die er Bund der
Militärischen Organisation (Zwiazek Organizacji Wojskowej)
nannte, stützte Pilecki auf Gruppen aus jeweils fünf Häftlingen,
die sich nicht kannten und durch einen „Fünferleiter" verbunden
waren. Im Verlauf weniger Monate entstand eine Reihe von
Fünfergruppen. Sie stützten sich vor allem auf das
Lagerkrankenhaus und das Büro, das die Arbeiten zuteilte.
Als die ersten Fünfergruppen bereits
bestanden, war es notwendig, eine Verbindung mit Warschau
herzustellen. Eine glückliche Fügung der Umstände erlaubte das
Versenden einer Meldung über einen ausnahmsweise freigelassenen
Häftling. Später erfolgte der Versand von Berichten über freie
Arbeiter, die im Lager arbeiteten. Es wurden auch Meldungen
durch Häftlinge übermittelt, die sich zu fliehen entschieden
hatten.
Außer Pilecki gründeten andere Polen
ähnliche Organisationen, die miteinander verbunden werden
sollten. Am Weihnachtstag des Jahres 1941, als SS-Männer
ausnahmsweise die Häftlinge unbeaufsichtigt ließen, kam es im
Block Nr. 25 zu einer äußerst riskanten Zusammenkunft. Es trafen
sich die Anführer einiger polnischer Untergrundgruppen. Unter
ihnen waren Sozialisten, Nationale und Gemäßigte zu
unterscheiden. Da das Treffen nicht verraten wurde, konnte es
stattfinden und führte zur Verständigung und Zusammenarbeit.
Die Führung der polnischen Gruppen übernahm
Oberst Kazimierz Rawicz, im Lager Jan Hilkner genannt. Als er im
Sommer des Jahres 1942 in ein anderes Lager deportiert wurde,
nahm seinen Platz Oberst Juliusz Gilewicz ein.
Neben den Polen begannen auch andere
Nationalitäten sich zu organisieren. Im Januar 1942 nahm Pilecki
den Kontakt zum Anführer der Tschechen – Jan Stranski auf. Im
selben Jahr wurde die Verbindung zur Gruppe der Russen
aufgebaut. Später wurden Kontakte mit der französischen und der
österreichischen Gruppe geknüpft.
Im September 1942 kam der Sozialist Jozef
Cyrankiewicz im Lager an. Er war erst 31 Jahre alt, doch seine
Ambitionen reichten weit. Er schloss sich der Gruppe PPS
-Sozialistische Partei Polens (Polska Partia Socialistyczna) und
über sie der Organisation Pileckis an, mit der er sich mehrmals
traf.
Im Herbst 1942 kam die SS der polnischen
Untergrundorganisation auf die Spur. Es erfolgten Festnahmen,
und annähernd 50 Häftlinge wurden hingerichtet.
Von Anfang an sah es Pilecki als das
wichtigste Ziel seiner Initiative an, das Lager einzunehmen und
alle Häftlinge zu befreien, natürlich durch die Heimatarmee (AK)
und dem rund tausend Häftlinge zählenden Bund der Militärischen
Organisation. Deshalb waren seine Meldungen vor allem auf dieses
Ziel ausgerichtet. Doch die Hauptkommandantur der Heimatarmee
war weniger optimistisch, sie sah keine Möglichkeit für eine
solche Aktion, zumal die Ostfront noch weit entfernt war. Also
beschloß Pilecki seine Pläne persönlich vorzutragen. Hierzu war
eine Flucht aus dem Lager erforderlich, die ihm am 27. April
1943 zusammen mit zwei Freunden auch gelang. Bevor es dazu kam
übergab Pilecki seine Funktion einem anderen Häftling – Henryk
Bartosiewicz. Doch selbst der persönliche Kontakt und sein
Bericht veränderten die Situation nicht. Die Hauptkommandantur
ließ sich von ihrer Haltung nicht abbringen.
Zur selben Zeit organisierten sich im Lager,
im Mai 1943, die Kommunisten. Die Initiative, eine Vereinigung
der kleinen Gruppen herzustellen, ging von den Österreichern
aus, die, obwohl nur etwa hundert an der Zahl, gute Funktionen
innehatten. Sie verständigten sich mit den Franzosen und den
polnischen Sozialisten, deren Führer Cyrankiewicz war. Es
entstand eine neue Organisation, die Kampfgruppe Auschwitz mit
einem Österreicher an der Spitze und mit einem äußerst
ehrgeizigen Cyrankiewicz in der Leitung. In der ideologischen
Zielstellung fand sich ein wichtiger Punkt, der mit der
Situation an der Ostfront übereinstimmte. „Die Freundschaft mit
der Sowjetunion ist die Garantie für den Sieg und den Frieden".
Da jedoch die neue Organisation schwach war
und die Polen im Lager eine Mehrheit bildeten, war eine
Verständigung mit der Organisation Pileckis unabdingbar. Es
wurde damit begonnen, Gespräche zu führen, die im Frühjahr 1944
einen positiven Ausgang nahmen. Es wurde der Militärrat des
Lagers gebildet. An seiner Spitze standen zwei Häftlinge aus der
Organisation Pileckis - Henryk Bartosiewicz und Bernard
Swierczyna und aus der Kampfgruppe - Jozef Cyrankiewicz und
Herman Langbein. Da der Plan lautete, das Lager zu übernehmen,
wurde die Koordinierung dem Befehlshaber der Heimatarmee im
Kreis Slask (Schlesien) untergeordnet.
Die starke kampfbereite russische Gruppe,
die in Verbindung mit Bund der Militärischen Organisation stand,
behielt trotzdem ihre Unabhängigkeit.
Ausschließlich für den Fall, dass die SS
vorgehabt hätte, alle Häftlinge im Lager zu ermorden, hätte die
Hauptkommandantur der Heimatarmee einen Kampf akzeptiert, doch
dazu kam es nicht. Nur die Organisation Pileckis stand in
Verbindung mit Partisanen der Heimatarmee unweit des Lagers.
Am 17. Januar 1945 begann SS das Lager zu
evakuieren, indem sie die Häftlinge zu Fuß nach Westen trieb und
einige tausend Kranke zurückließ. Am 27. Januar wurde das Lager
von einem Kommando der Roten Armee besetzt. 1680 Tage in der
Geschichte von Auschwitz gingen zu Ende.
***
Witold Pilecki befand sich nach einem
bewegten Geschehen wieder in Polen, mit einem Auftrag, der ihm
vom II Korps erteilt wurde. Im Jahr 1948 wurde er von der
Regierung der Volksrepublik Polen verhaftet und als "bezahlter
Vertreter des Andersschen Geheimdienstes" vor Gericht gestellt,
verurteilt und hingerichtet. Zur selben Zeit übte Jozef
Cyrankiewicz das Amt des polnischen Premierministers aus. Er war
zuvor ins Land gekommen und hatte die gesamte Sozialistische
Partei Polens (PPS) Boleslaw Bierut untergeordnet, der die Macht
in Polen durch ein Mandat Stalins innehatte. Diese Funktion übte
er 20 Jahre aus. In Polen verbreitete er die Nachricht, er
selbst wäre der Gründer der Untergrundbewegung im Auschwitzer
Lager gewesen.
Jozef Garlinski, London