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Die Veröffentlichung dieses Artikels wurde durch
die Großzügigkeit der Stiftung de Brzezie Lanckoronski ermöglicht.
Eine Grundlage für den Polnischen Untergrundstaat in den Jahren des Zweiten Weltkrieges waren die auf die Unabhängigkeit ausgerichteten geheimen militärischen und politischen Organisationen. Sie wurden im gesamten von den Deutschen und Sowjets besetzten Territorium des Landes geschaffen. Ihre Entstehung begünstigten die Traditionen der Unabhängigkeitskämpfe. Bereits im Herbst 1939 wurde mit Vorkehrungen begonnen, die auf die Gründung einer zentralen Verwaltungsbehörde des Untergrundes abzielten und die eine Fortführung der öffentlichen Vorkriegsverwaltung darstellen sollte. Das Statut des „Dienstes für den Sieg Polens" (Sluzba Zwyciestwu Polski) sprach von der Notwendigkeit der Schaffung „von Zentren einer nationalen provisorischen Regierungsbehörde". Auch das Kabinett von General Wladyslaw Sikorski unternahm den Versuch der Ernennung eines exekutiven Regierungsorgans auf dem Gebiet des besetzten Polens. Anfang 1940 wurde festgelegt, daß ein Landeszivilkommissar, ausgestattet mit den Vollmachten eines Ministers, die Funktion eines Sonderbeauftragten der Regierung im Exil ausüben sollte.
Die Hoffnung auf die Wiederholung der Situation aus dem ersten Weltkrieg und die schnelle Niederlage des Okkupanten beschleunigte den Aufbau einer Regierungsbehörde, die auf Machtausübung auf dem befreiten „herrenlosen polnischen Land" vorbereitet werden sollte. Die Aufgaben einer solchen Verwaltung umfaßten auch die Zusammenarbeit mit der Exilregierung, die mit Frankreich und Großbritannien verbündet war, eine Zusammenarbeit mit dem Bund für den Bewaffneten Kampf" (Heimatarmee), die Teilnahme an der Planung des allgemeinen Aufstandes sowie an der Stabilisierung der Gesellschaft und der Lenkung ihres Widerstandes gegen den deutsch-sowjetischen Okkupanten.
Im Februar 1940 entstand in Frankreich das Projekt der Heimatdelegatur. Zwei Monate später wurde der Keim für die Rechtspflege des Polnischen Untergrundstaates gelegt. Am 16. Juni 1940 wiederum traf Oberstleutnant Jan Skorobohaty-Jakubowski, der Interim-Sonderbeauftragte der Regierung in Warschau ein. Wenig später wurde eine Versammlung der Gemeinschaftsdelegatur der Regierung einberufen, an der die Repräsentanten des „starken politischen Viergespanns"– der PPS, SN, SL, SP sowie der Hauptkommandant des „Bundes für den Bewaffneten Kampf" (ZWZ) teilnahmen.
Im September 1940 erkannten jedoch die Mitglieder der Gemeinschaftsdelegatur, daß „nur ein „Einzelrepräsentant /.../ für die Arbeit der Regierung verantwortlich sein kann".
Kandidat für den Hauptsonderbevollmächtigten der Regierung wurde Cyryl Ratajski. Mit der Nominierung von Ratajski am 3. Dezember 1940 wurde die langdauernde und komplizierte Etappe der Konstituierung der Regierungsdelegatur beendet. Seitdem funktionierte im Polnischen Untergrundstaat parallel zur militärischen Konspiration sowie im Einvernehmen mit den Parteien und Fraktionen eine landeseigene Repräsentanz der Exilregierung. Ihre Existenz unterstreicht die Kontinuität der staatlichen Strukturen der Republik und akzentuiert gleichzeitig das Streben nach der Erlangung von Unabhängigkeit und Souveränität.
Am 30. Juli 1942 verabschiedete der Ministerrat den Präsidentenerlass über die einstweilige Organisation von Behörden auf polnischem Boden. Leider mußte der kränkliche Ratajski bald die Aufgaben als Hauptsonderbevollmächtigter der Regierung niederlegen. Der neue Sonderbevollmächtigte – Jan Piekalkiewicz von der SL übernahm das Amt am 17. September 1942. Am 19. Februar 1943 wurde er jedoch von der Gestapo verhaftet und starb während des Verhörs an den Folgen der Folterungen. Ein weiterer Bevollmächtigter der Regierung wurde Jan Stanislaw Jankowski (Sobol) von der SP. Am 9. Januar 1944 wurde der Rat für Nationale Einheit (Rada Jednosci Narodowej- RJN) gegründet, der den Status eines konspirativen Parlaments des Polnischen Untergrundes erhielt. Das programmatische Manifest des RJN – Wofür kämpft das Polnische Volk –kennzeichnet die militärische Hauptaufgabe der Republik sowie das Programm der gesellschaftlich-wirtschaftlichen Umgestaltung des Staates in der Periode des Friedens. Seit Frühling 1944 besaß der Sonderbevollmächtigte der Regierung Jankowski den Rang eines stellvertretenden Ministerpräsidenten. Zu dem im Sommer dieses Jahres einberufenen Ministerrat des Landes gehörten 3 Stellvertreter des Sonderbevollmächtigten der Regierung: Adam Bien (von der SL), Stanislaw Jasiukowicz (von der SN), Antoni Pajdak (von der PPS).
Die Abteilungen der Delegatur mit den Kompetenzen von Regierungsministern arbeiteten immer besser. Den zentralen Apparat der Delegatur bildeten: die Präsidialabteilung, die Abteilung innere Angelegenheiten, die Justizabteilung, die Abteilung Arbeit und Sozialfürsorge, die Abteilung Landwirtschaft, die Abteilung Finanzen, die Abteilung Industrie und Handel, die Abteilung Post und Telegrafie, die Abteilung für Beseitigung der Kriegsfolgen, die Abteilung Verkehrswesen, die Informations- und Presseabteilung, die Abteilung Öffentliche Arbeiten und Wiederaufbau, die Abteilung für Bildung und Kultur, die Abteilung Nationale Verteidigung.
Gleichzeitig wurde der örtliche Apparat der Delegatur ausgebaut. Zur grundlegenden Einheit wurde der Bezirk (die Wojewodschaft) – davon gab es sechzehn. Den Wojewodschaften wurden die Starosten (Obmännern) und die Kreisdelegaturen untergeordnet. Anfang 1944 bestand das Personal des „Verwaltungsnetzes" der Regierungsdelegatur aus über 15.000 Menschen. Die Mehrzahl der Mitarbeiter der Untergrundregierung stellten Menschen dar, die aufgrund ihres Alters außerhalb der Strukturen des konspirativen Militärs standen. Eine andere Angelegenheit war die, daß bei der Anwerbung für die Verwaltung der Regierung das Fachwissen und die Erfahrung beachtet wurden.
Zu den wichtigen laufenden Pflichten der Regierungsdelegatur gehörten die Vorbereitung zur Übernahme der zivilen Macht bei Beendigung der Okkupation aber auch die Hilfe und der Schutz vor der kulturellen und wirtschaftlichen Plünderung durch den Okkupanten, die Propaganda und karitative Aktionen. Effektiv funktionierten die Sicherheitsorgane der Regierungsdelegatur: das Staatliche Sicherheitskorps, das eine Geheimpolizei darstellte, der Wachdienst der Selbstverwaltung – eine regionale Polizei im Untergrund sowie die Bürgerwehr. Zu Beginn des Jahres 1944 bestanden Kommissionen zur Untersuchung und Registrierung der Verbrechen des Okkupanten in Polen (Tarnname „Vergißmeinnicht"). Ihre Aufgabe war das Sammeln und das Ausarbeiten von Materialien über den Besatzungsterror und seine Verbrechen. Eine besondere Rolle übte die Informations- und Presseabteilung aus.
Sie stellte sich der Besatzungspropaganda entgegen, gab der Bevölkerung wahrheitsgemäße Informationen, hielt Hoffnung und Kampfeswillen aufrecht. Die Abteilung verfaßte auch die „Rzeczpospolita Polska" (Republik Polen), das Zentralorgan der Regierungsdelegatur.
Im Rahmen der Sozialfürsorge arbeitete die Regierungsdelegatur mit dem Hauptfürsorgerat (Rada Glowna Opiekuncza) sowie mit der konspirativen Organisation der Grundbesitzer „Tarcza (Schild) – „Uprawa" (Anbau) zusammen. Große Aufmerksamkeit wurde der Förderung von „wertvollen Personen" wie z.B. Künstlern, Artisten, Literaten geschenkt. Am 27. September 1942 berief die Regierungsdelegatur das Provisorische Komitee „Konrad Zegota" ein, dessen Ziel die allseitige Unterstützung der jüdischen Bevölkerung war. Im Dezember wurde das Komitee in den Rat der Hilfe für Juden (Rada Pomocy Zydom) umgestaltet. Regional arbeiteten auch Rechtspflegeorgane der Delegatur, die Sonder-zivilgerichte und die Justizkommissionen für den Untergrundkampf. Sie überwachten die Einhaltung der Handlungsvorschriften des Untergrundes. Sie hatten das Recht, Todesurteile zu fällen, sie konnten auch auf Ehrlosigkeit erkennen sowie Verweise und Ermahnungen aussprechen. Die Abteilungen und alle Bezirksdelegaturen wurden Ende 1943/Anfang 1944 spürbar dank der Vereinigung des militärischen Verwaltungsapparates der AK – der „Teczka" (Aktentasche) gestärkt. Die Untergrundagentur der Regierung übernahm damals Gruppen disziplinierter und in der konspirativen Arbeit erfahrener Spezialisten.
Ein authentischer Prüfstein der Regierungsdelegatur ergab sich im Sommer des Jahres 1944, als im Rahmen der Aktion „Burza" (Sturm) geplant wurde, die gesamten Strukturen des Polnischen Untergrundstaates zu aktivieren und sichtbar offenzulegen. Es wurde davon ausgegangen, daß die Befehlshaber der AK „zusammen mit den Vertretern der Verwaltungsbehörden, die sich zu erkennen geben sollten", nach dem Sieg über die Deutschen gegenüber den Sowjets als Hausherren auftreten sollten. Spezielle Aufgaben der Delegatur sollten die Aufsicht über die politische Situation umfassen, das Ingangsetzen aller Verwaltungsebenen sowie den Wiederaufbau des gesellschaftlichen Lebens. Die Politik der Sowjets zwang zu einer Änderung der Strategie des polnischen Untergrundes. Zu Beginn des Jahres 1944 verbot die Warschauer „Zentrale" die Offenlegung der Kreisstrukturen der Regierungsdelegatur, sofern es nicht „vor dem Einmarsch der sowjetischen Truppen (...) zu einer polnisch-sowjetischen Übereinkunft kommt". In der Konspiration sollten die Exekutivorgane der Regierungsverwaltung und insbesondere die Polizei- und Geheimdienststrukturen verbleiben.
In der Praxis zeigte sich jedoch das Ende der deutschen Okkupation als der Anfang einer neuen, der sowjetischen Okkupation. Die Bemühungen der AK und Regierungsdelegatur im Rahmen der Aktion „Sturm" konnten jedoch nicht die vorgesehenen Ergebnisse bringen. Sie wurden durch den sowjetischen Terror vereitelt. Das Funktionieren des Polnischen Untergrundstaates wurde im entscheidendsten Moment unterbrochen. Das Aufhören der Tätigkeit der Regierungsdelegatur korrespondierte mit der Stimmung der polnischen Gesellschaft.
Im Frühjahr 1945 verstärkte sich die Angst, hervorgerufen durch das Verhalten der UdSSR, „Bündnispartner unserer Bündnispartner". Gleichzeitig trat die Hoffnung auf, sich mit den Kommunisten zu verständigen und einen demokratischen Staat zu errichten
Als Gefolgsleute der Verhandlungen erschienen 16 Führer des Untergrundes mit dem Bevollmächtigten der Regierung, Jan Stanislaw Jankowski und der Hauptkommandant der Heimatarmee, General Leopold Okulicki. Leider bezahlten sie dafür den höchsten Preis. Die Übereinkunft der Alliierten von Jalta zur sowjetischen Dominanz in Mitteleuropa erleichterte die Zerschlagung der Untergrundstrukturen der Republik.
Am 21. Juni 1945 berief Stalin den Provisorischen Rat der Nationalen Einheit als eine Marionette ein. Am gleichen Tag fiel ebenfalls in Moskau das rechtswidrige Urteil im Prozeß gegen die „16" Führer des Polnischen Untergrundstaates. Wenig später, am 27. Juni fand in Krakau die letzte Sitzung des Rates für die Nationale Einheit statt. Ebenfalls in Krakau wurde am 1. Juli 1945 die Regierungsdelegatur aufgelöst. Es erfolgte ein Schlußstrich unter den polnischen Untergrundstaat.
Trotz des tragischen Endes der Regierungsdelegatur im Land war die konspirative Struktur des Staates von außerordentlicher Bedeutung. Sie konsolidierte den Widerstand gegen den Okkupanten, sie nahm Einfluß auf die moralischen Haltungen der Gesellschaft. Sie funktionierte trotz widriger Bedingungen durch Krieg und Okkupation und erweckte die Wertschätzung bei den Polen – bei den Deutschen hingegen Unruhe. Der Hauptdelegierte als stellvertretender Premierminister, die Bezirksdelegierten als konspirierende Wojewoden sowie die Kreisdelegierten als Bürgermeister bildeten eine deutliche Repräsentanz der Republik. Natürlich erlangte die Delegatur nicht solch eine Geltung wie die Heimatarmee. Die konspirative Arbeit der Regierungsexpositur war weniger bekannt. Sie hatte oft bürokratischen Charakter und konnte kein breiteres gesellschaftliches Interesse hervorrufen. Sie begünstigte nicht das Entstehen von Legenden, wie sie sich um die Heimatarmee rankten. Ohne die Regierungsdelegatur wäre jedoch der Polnische Untergrundstaat nicht möglich gewesen. Darauf wurden gewaltige Anstrengungen aller ihrer Abteilungen gerichtet. Sie übten auf der zentralen-, Bezirks- und Kreisebene zwar eine trostlose, weil Beamtentätigkeit aus, waren jedoch unerläßlich für die Realisierung der Pläne für die Wiedererrichtung eines souveränen polnischen Staates. Sie waren Zeugnis einer Fleißarbeit unter extremen Bedingungen zur Wiedererlangung der Unabhängigkeit und zur Aufrechterhaltung der Kontinuität der Strukturen des polnischen Staates, die für die Konspiratoren einen zweifellosen Wert darstellten.
Grzegorz Ostasz, Rzeszow
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