PDF RTF
Während des 2. Weltkrieges waren die Einwohner der besetzten Länder oft gezwungen, in Industrie- und Landwirtschaft für den Okkupanten zu arbeiten. Diese Art von Zwangsarbeit kann man jedoch nicht als Kollaboration bezeichnen.
Bei einer bereitwilligen Zusammenarbeit mit dem Okkupanten auf politischem oder militärischem Gebiet ist das ist hingegen eine ganz andere Frage.
In einer Reihe okkupierten Ländern wurden kleine, nicht ganz selbständige Machtbereiche geschaffen, die mit den Deutschen zusammenarbeiteten.
Typische Beispiele dafür sind: Petain Vichy – Frankreich, die Slowakei, die von Tiso und Kroatien, das von Pavelic regiert wurden.
In einigen der okkupierten Länder schufen bekannte faschistische Politiker extrem rechtsgerichtete politische Parteien nach dem Vorbild der deutschen NSDAP.
Die Führer dieser Parteien arbeiteten aktiv mit den Okkupanten bei der Verwaltung ihrer Ländern zusammen, z. B.: Quisling in Norwegen, Dagrelle in Belgien und Mussert in Holland.
Erstaunlich umfassend war die militärische Zusammenarbeit mit den Deutschen in der Mehrzahl der okkupierten Länder. Es meldeten sich sehr viele Freiwillige für die Formationen der SS. Sie stammten aus skandinavischen Ländern, vom Balkan und vom Baltikum sowie aus Frankreich, Belgien, Holland und der Ukraine.
Von 50 Divisionen der SS setzten sich 18 aus Freiwilligen eben dieser Ländern zusammen. (1)
Sehr viele militärische Formationen, die der deutschen Armee angegliedert wurden, setzten sich aus sowjetischen Kriegsgefangenen zusammen, die aus verschiedenen sowjetischen Republiken stammten. Die Abteilungen die aus den „weißen“ Russen von Wlasow, aus Ukrainern, Weißrussen, Kosaken, Kaukasiern, Aserbaidschanern oder Turkmenen bestanden, sollten angeblich für den Kampf gegen die Sowjets eingesetzt werden, um die Unabhängigkeit ihrer Ländern zu erlangen.
Diese Abteilungen wurden von den Deutschen jedoch oft für andere Ziele eingesetzt, z. B. zur Bekämpfung der Widerstandsbewegung und der Partisanen.
Mindestens ein halbes Dutzend eben dieser Einheiten wurde von den Deutschen im Kampf gegen die Heimatarmee im Warschauer Aufstand im Jahre 1944 eingesetzt.
Die Kollaboration der schlimmsten Art, d. h. die Zusammenarbeit mit den Deutschen beim Holocaust, gab es dagegen sehr selten.
Es gibt Beweise, dass einige Vernichtungslager im Osten von SS und den Ukrainischen Milizen gemeinsam geleitet wurden und dafür, dass Hilfseinheiten aus baltischen Ländern an der Liquidierung von Ghettos teilgenommen haben.
Dabei ist auch das Wirken einzelner Personen, wie Spione oder Spitzel für die deutsche Polizei und Gestapo zu berücksichtigen.
Eine spezielle Art der Kollaboration, die eine weitergehende Betrachtung erfordert, ist die Tätigkeit der regional rekrutierten Ordnungspolizei in den besetzten Ländern.
Die Menschen, die populäre Veröffentlichungen über den 2. Weltkrieg lesen, in denen von erstaunlich umfassender Kollaboration mit dem Okkupanten berichtet wird, könnten zu Überzeugung kommen, dass die Zusammenarbeit allseitig und allumfassend gewesen wäre und alle okkupierten Länder einschließlich Polen umfasst hat. Ein genaueres Studium ernstzunehmender historischer Quellen zeigt jedoch in Bezug auf Polen, dass es keine bedeutende Kollaboration auf hohem Niveau mit dem Okkupanten gegeben hat – so gab es weder polnische Milizen, die am Holocaust teilgenommen haben, noch polnische SS – Divisionen, noch existierte ein „polnischer Quisling“.
Die Situation in den Gebieten des Polnischen Staates war während der Okkupation sehr kompliziert. Polen war in drei unterschiedliche Teile gespalten.
Die westlichen Gebiete waren dem Dritten Reich angegliedert, und viele Polen wurden aus ihnen in die zentralen Gebiete des okkupierten Polen ausgesiedelt.
Die Einwohner, die in den westlichen Gebieten zurückblieben, konnten eine von mehreren Kategorien der deutschen Staatsbürgerschaft annehmen. Viele, die dieses taten, wurden gezwungenermaßen in die deutsche Armee eingegliedert, in einigen Fällen sogar in die SS. Das kann man jedoch nicht als Kollaboration bezeichnen, obwohl sich manche von diesem Fakt beeinflussen ließen und das als solche auslegten.
Die östlichen Gebiete Polens wurden 1939 der Sowjetunion angegliedert, aber nach Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges wurden diese von den Deutschen besetzt. Ein Teil der Gebiete kam zu dem okkupierten Zentralpolen und der restliche, bedeutend größere Teil, war de-facto- die von den Deutschen besetzte UdSSR.
Eben dort hatten einige Länder, wie z.B. die Ukraine, Weißrussland und Litauen einen gewissen Grad von staatlicher Unabhängigkeit unter dem Protektorat Deutschlands.
Der zentrale Teil Polens war ein tatsächlich besetztes Land und trug den Namen Generalgouvernement, Kurzbezeichnung GG. Die Einwohnen dieses Teils Polens hatten keinerlei Rechte und wurden gnadenlos auf verschiedene Art und Weise vom deutschen Okkupanten ausgebeutet und verfolgt.
Haben nun die Einwohner des GG mit dem Okkupanten kollaboriert? Es gab einige wenige Beispiele, für polnische Spione, Verräter oder Spitzel im Dienste der Gestapo. Derartige Handlungen wurden beispielhaft vom Polnischen Untergrundstaat bekämpft. Es muss jedoch auch die Rolle der Polnischen (und später auch der Jüdischen) Ordnungspolizei im GG betrachtet werden.
Die Rolle der Ordnungspolizei in allen von den Deutschen okkupierten Ländern birgt ein spezielles Problem für die Historiker des Zweiten Weltkrieges. Genau genommen war es die Aufgabe der Polizei, insbesondere Verbrechen unter ihren Landsleuten zu verfolgen, schließlich mussten sie jedoch alle Anweisungen ihrer deutschen Befehlshaber ausführen.
Und die Deutsche waren immer in der Lage neue, ihnen genehme Definitionen von Verbrechen, von illegalem oder antisozialen Verhalten zur Bevölkerung festzulegen.
Im GG hatte die so genannte „Blaue Polizei“ Polens in ihren Reihen eine große Anzahl von Polizisten aus dem Vorkriegskader. Zu ihnen gesellten sich jedoch einige undurchsichtige und unangenehme Typen, die oft bereit waren, an Handlungen teilzunehmen, die mit der Korruption, Erpressung usw. verbunden waren.
Viele von den höheren Offizieren dieser Polizei waren Menschen deutscher Herkunft (Volksdeutsche), oder sie stammten aus nationalen Minderheiten, z. B. der ukrainischen.
Es gibt Beweise dafür, dass die Blaue Polizei von den Deutschen zum Überwachen der Ordnung während der Massenumsiedlungen von Juden durch die deutsche Polizei und SS in die Ghettos der größeren Städte des Generalgouvernements eingesetzt wurde. Im größten Ghetto des GG, in Warschau, waren polnische und jüdische Polizisten am Eingang in das Ghetto stationiert, um dem deutschen Polizisten bei der Kontrolle des Passierens von polnischen städtischen Funktionären und jüdischen Arbeitskolonnen in und aus dem Ghetto zu assistieren.
Das Warschauer Ghetto wurde durch die bewaffnete deutsche Polizei (Gendarmerie) bewacht.
Einige Wochen vor der endgültigen Liquidierung des Ghettos wurden die deutschen Verbände zur Bewachung des Ghettos durch die Zuführung von Polizisten verstärkt, die vollkommen andere Uniformen besaßen. Es stellte sich heraus, dass das litauische Freiwillige aus der „Schaulis“- Miliz waren. Zur selben Zeit wurden die polnischen und jüdischen Polizisten vom Dienst an den Toren des Ghettos zurückgezogen.
Die jüdische Polizei des Warschauer Ghettos wurde durch die deutsche Verwaltung des Ghettos organisiert. Sie hatte in ihren Reihen einen bestimmten Prozentsatz brutaler, unangenehmer Individuen, aber auch Menschen, die nach besseren Lebensbedingungen strebten und sich vor der Deportation schützen wollten. Die normale, hauptsächliche Funktion dieser Polizei war das Achten auf Ordnung im Ghetto, aber schließlich mussten sie auf Anweisung ihrer deutschen Befehlshaber die Inhaftierungen von hunderttausenden ihrer Gleichgesinnten durchführen, sie hin zum Umschlagplatz treiben, sie mit Gewalt in die Züge pferchen, die aus Viehwagons bestanden und die sie in die Arbeitslager im Osten (in Wirklichkeit waren das Vernichtungslager) bringen sollten. In der Schlussphase dieser Aktion wurden alle jüdischen Polizisten von der SS verhaftet und mit dem letzten Transport in die Vernichtungslager gebracht.
Kann man, wenn man sich darum bemüht objektiv zu sein, die polnischen und jüdischen Polizisten für das Ausführen der Befehle ihrer deutschen Befehlshaber vollkommen verdammen? Das ist sicherlich eines der größten Probleme mit denen die Historiker des 2. Weltkrieges konfrontiert werden.
Vielleicht sollte man sich des Beispiels eines jüdischen Historikers bedienen, der in folgender Art und Weise die Tätigkeit und das Schicksal dieser jüdischen Polizisten bewertete: „Sie waren alle schuldig; aber zugleich auch unschuldig; wir können sie alle wie Heilige ansehen“. (3)
Werden alle historisch zugänglichen Fakten betrachtet, so kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass Polen und dem polnischen Volk keine ernsthafte, misszubilligende Kollaboration mit dem deutschen Okkupanten vorzuwerfen ist.
Es ist deshalb für viele eine verwunderliche Tatsache, dass sich die Anschuldigungen von Polen wegen Kollaboration schlimmsten Ausmaßes mehrfach in der jüngsten Vergangenheit zeigten.
Die „Gazeta Polska“ (17/11/1999) brachte ein Artikel von Jacek Kwiecinski über das öffentliche Auftreten von Horward Stern, einem amerikanischen Rundfunk- und Fernsehpublizisten:
– „Es waren gerade die Polen, die den Plan zu Vernichtung der Juden geschaffen haben, und sie waren auch die Ausführenden dieses Planes.“
So ist auch die Aussage der amerikanischen Fernsehjournalistin Lesley Stahl zu werten, die in ihrem Buch „Reporting Live“ behauptete, dass „die Polen mit Hilfe ihrer guten Nachbarn – den Deutschen, in den vierziger Jahren die Juden ausrotteten“. Der bekannte Autor Steward Steven knüpft in seinem Buch „The Poles“ (3) an das Auftreten des israelischen Premiers Menachem Begin im holländischen Fernsehen im Jahre 1979 an, der öffentlich behauptete: „Was die Juden gegen die Polen haben, das ist die Kollaboration mit den Deutschen. Von 35 Millionen Polen waren vielleicht höchstens hundert bereit, den Juden zu helfen.“
Es ist traurig und sehr schade, dass es solche Äußerungen gibt - nicht nur deswegen, weil sich diese einerseits nicht auf wahre historische Fakten stützen und andererseits, weil die Verfasser dieser Äußerungen ein hohes Ansehen in ihren Ländern haben bzw. hohe staatliche Funktionen ausüben. Ihre Äußerungen könnten deshalb von Vielen als wahrhaft angesehen werden.
Das Ansehen des polnischen Volkes kann aus diesem Grunde Schaden nehmen.
Man sollte vielleicht nicht gerade die sinnlose und auch gleichzeitig unverständliche Bezeichnung der Konzentrationslager aus der Zeit des 2. Weltkrieges als „polnische“ an dieser Stelle anführen. Auf diese Art Bezeichnungen ist man mehrfach in der Vergangenheit gestoßen, aber im Jahre 2006 sind sie nun unverhofft im britischen Fernsehen und in der deutschen Presse aufgetreten. Leider können dieser Art Behauptungen hinsichtlich des Bestehens der miesesten Art der Kollaboration der Polen mit dem deutschen Besatzer eine nicht gut informierte Öffentlichkeit beeinflussen.
Es ist nur schwer vorstellbar, warum es zu solchen Behauptungen kam.
Vielleicht aus Ignoranzgründen. Oder durch einen Fehler, der von den Autoren begangen wurde?
Vielleicht trat aber auch eine Assoziation auf, die durch die Orte hervorgerufen wurde, in denen sich diese Lager befanden?
Die deutschen Konzentrationslager konnten für Zwecke der so genannten „Schutzhaft“ oder für die Doppelziele der Inhaftierung und Vernichtung bzw. darüber hinaus als Zentren der sofortigen Vernichtung genutzt werden.
Die meisten Konzentrationslager befanden sich im so genannten „Großdeutschen Dritten Reich“, d.h. einschließlich der Gebiete Polens, die nach Beendigung des Krieges im Jahre 1939 hinzukamen. Einige Lager befanden sich in dem Teil Polens, der im Jahre 1939 der Sowjetunion angegliedert wurde, aber nach 1941 de-facto- von den Deutschen okkupiertes sowjetisches Territorium war.
Die übrigen Lager waren im Generalgouvernement – dem mittleren Teil Polens, der von den Deutschen okkupiert wurde. Diesen letzten Teil kann man als deutsche Kolonie polnischer Sklaven bezeichnen, die von den Deutschen regiert, verwaltet und bewacht wurde.
Alle Konzentrationslager waren von Sonderabteilungen der SS, den so genannten „Totenkopfverbänden“ verwaltet, besetzt und bewacht, aber einige Lager zur sofortigen Vernichtung im Osten wurden gemeinsam von SS und ukrainischer Miliz geführt.
Wenn man schon von etwas Polnischem im Zusammenhang mit diesen Lagern berichten wollte, so war das die Tatsache, dass in so vielen von diesen Lagern so viele unglückliche Häftlinge - Polen oder polnische Bürger waren.
Wir hoffen, dass in Zukunft die Personen und dabei besonders die allgemein bekannten Persönlichkeiten oder Personen, die bedeutende Funktionen in ihren Ländern innehaben und über diese Aspekte des 2. Weltkrieges öffentlich sprechen, sich bei ihren Äußerungen oder Urteilen auf allgemein anerkannte historische Fakten stützen werden.
Andrzej Sławiński, Dezember 2006
Bibliographie:
(1) Karol Grunberg,/Karl Grünberg, SS Czarna Gwardia Hitlera, (SS - Die Schwarze Garde Hitlers), Ksiazka i Wiedza, Warszawa 1949
(2) Pamiec Powstania 44 (Erinnerung an den Aufstand von 44) ,
Rzeczpospolita (für das Museum des Warschauer Aufstands), 2005, S. 67
(3) Stewart Steven, The Poles (Die Polen), Collins/Harvill, London 1982
|