Die Einstellung der Briten zur Heimatarmee
war von Anfang an freundschaftlich. Der Major (später
Brigadegeneral) Sir Colin Gubbins, einer der wenigen
Spezialisten auf dem Gebiet der Methoden des Partisanenkampfes
des (britischen) Kriegsministeriums besuchte Polen im Frühjahr
1939, um mit dem Generalstab die Prinzipien der konspirativen
Kriegsführung zu besprechen. Er kehrte im August 1939 als Chef
des Generalstabes von Carton de Wiart, VC (Kreuz der Königin
Victoria), in der der Militärmission Nr. 4 nach Polen zurück.
(Nach Ausbruch des Krieges) floh er nach Süden und verbrachte
den Winter 1939/1940 in Paris, wo er die Mission leitete, die
zwischen den Befehlshabern der britischen Armee und den sich in
der Emigration formierenden polnischen und tschechischen
Militäreinheiten vermittelte. Später war er in herzlicher
Freundschaft mit General Sikorski verbunden, der sich nach
England im Juni 1940 durchschlug.
Ende 1940 stand Sikorski an der Spitze der
polnischen Exilregierung in London, die Reste seiner Armee
befanden sich jetzt bei Aberdeen, im östlichen Schottland. Zu
dieser Zeit war Gubbins bereits Brigadegeneral sowie Chef für
Operationen des neuen britischen Geheimdienstes Special
Operations Executive (SOE), gegründet im Jahre 1940 (und im
Januar 1946 aufgelöst), dessen Ziel der Aufbau und die
Aufrechterhaltung von Widerstandsbewegungen in allen okkupierten
Ländern war. Gubbins nahm Hugh Dalton, den Minister mit, dem der
SOE unterstand, um zusammen mit Sikorski die Weihnachtsfeiertage
1940 in Schottland zu verbringen, wobei Sikorski und Gubbins
Dalton von den Vorzügen der Führung eines Partisanenkrieges
überzeugten.
Mitte Februar 1941 führten die SOE und RAF
gemeinsam die ersten von vielen Tausenden Fallschirmabsprüngen
von Menschen und Abwürfen von Waffen für die europäischen
Widerstandsbewegungen durch: bei der dritten Aktion wurden zwei
Offiziere und Kriegsmaterial für Westpolen abgesetzt. Die
Mission flog mit einem Bomber vom Typ Whitley nach Polen – das
war damals schon ein veralteter Flugzeugtyp, die RAF hatte
jedoch aus Geldmangel nichts Besseres. Bei der Navigation im
Sternenlicht und nach dem eigenen Gefühl setzte der Pilot seine
Passagiere 30 Meilen (48 Kilometer) vom beabsichtigten Ort ab;
solche Fehler waren seinerzeit nicht zu vermeiden. Die Rückflüge
nach Polen in nicht beheizten Kabinen dauerten 12, oftmals sogar
14 Stunden. Eine streng eingehaltene und nur einmal verletzte
Verfügung von Stalin und Beria war das Verbot der Landung von
Flugzeugen mit Lieferungen für den nicht-sowjetischen Widerstand
auf sowjetischem Territorium. So war die größte Fracht von
Flugzeugen, die den Polen Vorräte liefern wollten, der
Treibstoff selbst, damit dieser noch für den Rückflug reichte;
insbesondere dann, wenn eine starke deutsche Luftabwehr zu
längeren Flügen zum nördlichen Umfliegen von Dänemark zwang.
Nach und nach gelang es die RAF davon zu
überzeugen, einige Flugzeuge zur Durchführung dieser Missionen
bereitzustellen. Im August 1941 entstand auf einem Renngelände
in Newmarket der Schwadron 138, mit dabei waren 3 polnische
Besatzungen. Jedoch beschränkte sich die Arbeit dieser
Besatzungen nicht nur auf polnische Missionen und konnte auch
nicht darauf beschränkt bleiben, deshalb ging auch sehr zeitig
eine der polnischen Besatzungen während eines mißlungenen
Abwurfes über Frankreich verloren. Als Ende 1943 die Alliierten
Süditalien einnahmen, begann der RAF-Verband 1586 mit fast
ausschließlich polnischen Besatzungen die Missionen nach Polen
vom Flugplatz Foggia (nicht weit vom „Absatz" von Italien)
durchzuführen – diese Flüge waren damit weiterhin sehr lang.
Das polnische Geschwader zählte fast ein
Dutzend Flugzeuge einschließlich einiger amerikanischer Bomber
vom Typ Liberator B 24, die General Sikorski durch die Hilfe vom
amerikanischen General Donovan erhalten hatte. Als 1942 der
Befehl erteilt wurde, war beiden Generalen noch nicht bewußt,
daß noch ein Jahr vergehen wird, bis die „Liberatoren" für
sichere Nachtflüge angepaßt wurden, um die
Treibstoffabgasflammen irgendwie unsichtbar zu machen. Im August
1944 erlitt das Geschwader solche katastrophale Verluste, als es
versuchte, die Abwürfe für das aufständische Warschau
durchzuführen, daß der regional zuständige RAF-Befehlshaber
weitere Flüge untersagte.
Die Freundschaft Sikorski mit dem General
Sir Alan Brooke (später Lord Alanbrooke), dem Vorsitzenden des
Komitees der britischen Stabschefs sowie mit dem Premier
Churchill sicherte die strategische Hilfe Großbritanniens für
die Heimatarmee. Jedoch bedeutete die globale Politik der
britischen Befehlshaber in der Tat, daß ihr Verhältnis zu den
sowjetische Machthabern anders als der Polen zu diesen war. Die
Briten befanden sich in einer prekären Situation – sie wollten
einerseits den Polen helfen, konnten aber den Krieg nicht ohne
die Zusammenarbeit mit Rußland gewinnen. Ein anderes Hindernis
beim Erlangen von Hilfe für die Heimatarmee durch die polnische
Exilregierung war die Tatsache, daß seit 1942 der britische
Foreign Office (Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten) klar
erkennbar pro sowjetisch wurde.
Letztendlich warf die RAF für die
Heimatarmee in Polen nur 600 Tonnen Kriegsmaterial ab, während
unter ganz anderen Transportbedingungen nach Frankreich 10.000
Tonnen und nach Jugoslawien sogar 18.000 Tonnen gesandt wurden.
Für das polnische Projekt des „Bleistiftzeitzünders", das 1939
Gubbins aus Polen mitbrachte, bedankten sich die Briten, indem
sie den Polen ihre neue Erfindung – einen Plastiksprengstoff –
geliefert haben, der sich besonders für das Sprengen von Zügen
eignete. Nach Polen wurden 300 Agenten entsandt, die in
Sabotagemethoden (teilweise von einem Experten von SOE, dem
Oberst G.T. Rheam bestimmt) in den polnischen Schulen in
beschlagnahmten englischen und schottischen Landsitzen
unterwiesen wurden. Die Sabotage selbst, die von der Heimatarmee
an den Bahnlinien durchgeführt wurde – ca. 7.000 zerstörte
Lokomotiven – störte spürbar das Nachschubsystem der Wehrmacht,
die gegen die Rote Armee an der Ostfront kämpfte – und trotzdem
lehnte Stalin die Heimatarmee als verkappte faschistische
Organisation ab.
Für das Ziel der Aufrechterhaltung der
Kommunikation zwischen der Londoner Regierung und der
Heimatarmee lieferte SOE viele Radio- und Telegraphengeräte. Die
Polen benutzen eigene Geheimschriften, die die Engländer und
wahrscheinlich auch die Deutschen nicht kannten. Die Polnische
Regierung erhielt auch eine geheime Genehmigung über den
Ausschluß von Beschränkungen, die allen anderen Diplomaten und
Londoner Exilregierungen im Zeitraum vor der Invasion in der
Normandie auferlegt worden waren; dank dieser Genehmigung konnte
die polnische Regierung weiterhin eigene Geheimschriften in
ihren Nachrichten an die Heimatarmee benutzen. Außerdem haben
die Briten den Polen eine leistungsstarke Rundfunkstation der
BBC zur Verfügung gestellt, in der nach den Nachrichten in der
polnischen Sprache vorher mit dem Widerstand im Lande
abgestimmte Melodien gesendet wurden, auf diese Art und Weise
erhielt der Widerstand operative Informationen. Man war nämlich
der Meinung, daß der Feind weniger daran interessiert war,
Sendungen mit Melodien, als mit Wortnachrichten zu stören.
Alle Agenten der SOE, die nach Polen
entsandt wurden, waren bis zum letzten Winter Polen. Im Januar
1945 begann auf der Basis des Befehls (der britischen)
Stabschefs die Operation „Freston". Das war eine Mission in
Südpolen, die vom Oberst D.T. Hudson (der früher im
Jugoslawien-Krieg ausgezeichnet wurde) geführt wurde. Das Ziel
der Mission war das Kennenlernen der materiellen und personellen
Kampfkraft der Heimatarmee. Die Briten landeten in der Nähe der
damaligen Front und konnten nur dank der Aufopferung einer
Kompanie der Heimatarmee der sofortigen Festnahme entgehen, die
den Feind so lange aufhielt, bis sie entkommen konnten. Trotzdem
fielen sie kurz danach in die Hände der sowjetischen Armee und
wurden unter entsetzlichen Bedingungen bis zum Ende der
Jalta-Konferenz gefangen gehalten. Später wurden sie nach Moskau
gebracht, wo sie sehr bescheiden gefeiert und anschließend mit
dem Flugzeug nach Westen abgeschoben wurden. Diese Mission hatte
also nicht gebracht.
Potsdam hat nur wenig, wenn überhaupt etwas
an der Situation der Polen seit der Jalta-Konferenz verbessert:
Die Briten und die Amerikaner mußten tatenlos zusehen, wie
Stalin seine Versprechungen brach. Noch davor, im Jahre 1945,
haben die Befehlshaber des polnischen Untergrundes formell die
Heimatarmee aufgelöst. Die ehemaligen Mitkämpfer hatten jedoch
wenig Chancen, sich in die normale zivile Welt einzugliedern,
weil die sowjetische Geheimpolizei so viele von ihnen einfing
und wußte, daß sie keine braven Bürger eines pro-sowjetischen
Regimes werden würden.
Prof. R.M.D. Foot