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Die Veröffentlichung dieses Artikels wurde durch
die Großzügigkeit der Stiftung de Brzezie Lanckoronski ermöglicht.
Als „Erster Verbündeter" Großbritanniens spielte Polen in der alliierten Kriegsstrategie in vielerlei Hinsicht eine Rolle, insbesondere auf dem Gebiet der Widerstandsbewegungen im Untergrund. So also begann das britische SOE (Special Operations Executive – ein ausführendes Organ für besondere Operationen) eine enge Zusammenarbeit mit dem polnischen Untergrund, und die polnische Abteilung der SOE beteiligte sich aktiv an Operationen, die zum Ziel hatten, die Heimatarmee (AK) zu stärken und ihre Kontakte mit den Westmächten aufrecht zu erhalten. Die erste von vielen Agentengruppen des SOE, die sogenannten. „Leise-Dunklen", wurde über dem Gebiet des besetzten Polens am 31. Juli 1944 aus der Luft abgesetzt und erreichte Warschau am 1. August.
Die britische und amerikanische Regierung waren sich schon seit Mitte 1943 darüber im Klaren, dass die Führung des polnischen Untergrunds einen Aufstand gegen die Deutschen initiieren will, wenn die Situation hierfür günstig sein würde. Eine Notiz, welche diese Absicht verdeutlichte, gelangte noch vor der Teheraner Konferenz am 23. November 1943 in das Büro des Präsidenten Roosevelt. Dennoch suggerierten die Engländer und Amerikaner der polnischen Regierung bei keiner Gelegenheit, dass der Aufstand etwas Unerwünschtes sei. Im Gegenteil, die allgemeine Stimmung in den Kreisen der Alliierten animierte die Polen ständig, die Deutschen anzugreifen, um auf diese Weise die Kriegshandlungen der Verbündeten zu unterstützen.
Es sollte an dieser Stelle auch unterstrichen werden, dass die Koalition der Alliierten in einem Zeitraum von mindestens sieben Monaten die Möglichkeit hatte, Pläne für unvorhergesehene Fälle auszuarbeiten. Anfang Januar 1944 überschritt die Rote Armee die polnische Grenze und begann weiter nach Westen vorzudringen, doch zur Weichsel gelangte sie erst in der letzten Juliwoche. In dieser Zeit wäre es vernünftig gewesen, wenn die Koalition ihre Verfügbarkeit in drei Schlüsselbereichen überprüft hätte. Der erste Bereich betrifft den alliierten Nachrichtendienst, der in Anbetracht des Fehlens von britischen und amerikanischen Offizieren in Warschau, nicht der Lage angemessen war. Der zweite Bereich betrifft das militärische Nachrichtenwesen, in dem wenige Fortschritte gemacht wurden, da die Briten wirksam alle Bitten bezüglich Übersendung einer britischen Militärmission in den polnischen Untergrund ignorierten (diese hätte ähnlich funktioniert, wie die bereits in Jugoslawien tätige Mission). Der dritte Bereich aber betrifft die Diplomatie. Jeder wusste, dass die Rote Armee der Hauptstadt des Landes zustrebte, das ein formaler Verbündeter Großbritanniens war. Da aber die „Große Drei" niemanden über ihre wichtigsten strategischen Entscheidungen zu unterrichten pflegten, und da Stalin die diplomatischen Beziehungen zur Polnischen Regierung abgebrochen hatte, war es offensichtlich, dass nur die Westmächte sich mit Moskau verständigen und sich politisch auf jene Möglichkeit vorbereiten konnten, die mit Sicherheit das gesamte Koalitionssystem beeinflusst hätte. Es wurde jedoch keine derartige Initiative ergriffen.
Sechs Wochen vor dem Aufstand begaben sich Premier Mikolajczyk mit General Tatar nach Washington zu einer Reihe von Besuchen, mit Präsident Roosevelt, mit der Obersten Führung der Westlichen Alliierten (Joint [Combined] Chiefs of Staff of the Supreme Allied Command) als auch mit dem Büro für Strategische Dienste (Office of Strategic Services – OSS, einem Vorläufer der CIA). Bei jeder Gelegenheit wurde das Vorhaben des polnischen Untergrundes, die deutsche Armee anzugreifen, sobald die Rote Armee auftauchte öffentlich diskutiert.
Mikolajczyk wurde von Roosevelt enthusiastisch aufgenommen und nachdrücklich dazu ermuntert, unmittelbaren Kontakt zu Stalin aufzunehmen. Dabei versicherte er ihm, dass Polen aus solchen Gesprächen `ungeschmälert´ (undiminished) hervorgehen würde. Ferner überwies er der Heimatarmee (AK) eine großzügige Subvention von 10 Millionen Dollar. Die Führung der westlichen Alliierten fragten die Polen detailliert nach Möglichkeiten einer polnisch-sowjetischen Zusammenarbeit und machten sich möglicherweise durch die etwas zu optimistischen Aussagen von General Tatar ein falsches Bild. Tatar war ein leidenschaftlicher Verfechter des Aufstandes und auch ein politischer Gegner des eigenen Obersten Heerführers Sosnowski. Scheinbar übermittelte er den Amerikanern die starken Einwände des Obersten Heerführers Polens nicht. Dennoch gefiel das Auftreten Tatars den Briten sehr. Nachdem er aus Washington zurückgekehrt war, erhielt er von den Briten den Bath-Orden. Während der feierlichen Überreichung des Ordens äußerte Lord Selbourne:
„Es gibt begründete Hoffnungen... dass die polnischen Streitkräfte ihr Land in nächster Zukunft aus den Händen des Feindes befreien werden."
Bis zur letzten Woche wurde die Britische Regierung ausführlich informiert. Am 25. Juli, dem Tag, an dem der Polnische Ministerrat seine endgültige Entscheidung traf, übermittelte der Botschafter Raczynski die Nachricht, dass der Aufstand in Warschau ausbrechen solle. Diese Mitteilung führte zu einer großen Spaltung in der britischen Politik. Das Außenministerium reagierte ablehnend und teilte Raczynski ohne Umschweife mit, dass es keinerlei Möglichkeiten für eine Unterstützung gäbe. Die Reaktionen der Führung des SOE hingegen waren positiv. Während eines Treffens mit General Tatar am 29. Juli erklärte sich General Gubbins mit der polnischen Bitte um Luftangriffe und dem Absprung der Polnischen Fallschirmbrigade einverstanden. Lord Selbourne persönlich überbrachte diese Petition Churchill und bekräftigte dabei seine engagierte Unterstützung in dieser Sache.
Als der Aufstand dann ausgebrochen war, fielen die Reaktionen der britischen Politik und der Öffentlichkeit durch das Fehlen unabhängiger Informationsquellen naturgemäß gedämpft aus. Am Abend des 2. August hielt Churchill eine Rede im Unterhaus über das politische Problem des Bündnisses und unterstrich dabei sowohl den Mut der Polen, als auch die „Notwendigkeit freundschaftlicher Nachbarn für Rußland". (Es ist bezeichnend, dass er die Notwendigkeit freundschaftlicher Nachbarn für Polen nicht erwähnte.) Daraufhin verfügte er die Ausführung der Zuliefermission der RAF von seinen süditalienischen Stützpunkten aus nach Warschau und initiierte damit die lange Geschichte der Flugbrücke nach Warschau...
Als Kontrast hierzu erging sich das britische Außenministerium in atemberaubender Untätigkeit, die sich wohl durch unterschiedlichste Ratschläge, aber auch durch die Existenz pro-sowjetischer Agenten (moles) in ihren Reihen erklären ließe. (Der Historiker Christopher Hill, der, wie sich später herausstellen sollte, ein Mitglied der Kommunistischen Partei war, führte in diesem Ministerium die Abteilung Sowjetische Angelegenheiten). Erst nach vier Wochen überwand Eden seinen langen Widerstand gegen die Übersendung einer britischen Militärmission nach Polen, und erst nach sieben Wochen reagierte er auf die Proteste des Botschafters Raczynski gegen die Verhaftung und Ermordung von Soldaten der Heimatarmee (AK) durch das sowjetische NKWD. In der letzteren Angelegenheit informierte er am 27. September das Unterhaus banal, daß die sowjetische Botschaft diese Vorwürfe zurückgewiesen habe (die, wie wir heute wissen, vollkommen gerechtfertigt waren).
Das SOE, dessen Rat sich aktiv zu engagieren abgewiesen wurde, vergaß den einstigen Eifer für die polnische Sache schnell. General Gubbins, der sich vor dem Aufstand jede Woche mit Tatar traf, reiste am 13 August nach Frankreich, so dass er drei Monate abwesend war. Sein Stellvertreter Oberst Perkins übernahm die Haltung des Foreign Office (des Außenministeriums) und übte scharfe Kritik an den Polen, denen er Mängel in der Koordination vorwarf. In Wirklichkeit konnte das SOE seine Zusagen bezüglich der Zulieferflugzeuge und der Vorbereitung einer dauerhaften `Flugbrücke´ nach Polen nicht einhalten. Nach der Ansicht eines britischen Spezialisten auf diesem Gebiet
(Ted Harrison) gab das SOE das Projekt-Warschauer Aufstand- auf und konzentrierte sich nunmehr ausschließlich auf zwei Länder, Frankreich und Jugoslawien, wo die Pläne zur Zusammenarbeit besser vorbereitet waren.
Churchill zeigte sich offen empört über die unsensible Reaktion Stalins gegenüber dem Warschauer Aufstand, besonders darüber, dass die sowjetischen Machthaber ihre Landebahnen für die Flugzeuge der RAF nicht zugänglich machen wollten. Gemeinsam mit Roosevelt wollte er nachdrücklichen Protest einlegen, jedoch lehnte das der amerikanische Präsident zu seiner großen Verwunderung ab. Der Fall Warschau verdeutlichte den schwindenden Einfluss Churchills in den „Großen Drei".
Viele britische Politiker irritierten die verzweifelten Versuche der Polnischen Regierung Alarm zu schlagen. Der Vize-Premier Clement Atlee resümierte:„Was hätten wir denn mehr tun können?" Doch den größten Ärger beschwor am 1. September – aus Anlass des fünften Jahrestages des Kriegsausbruchs – die Erklärung des Obersten Heerführers herauf, in der er Großbritannien offen für das Fehlen der vollen Unterstützung kritisierte, das damit zum Schuldner eines loyalen Verbündeten geworden ist. Einer der britischen Minister kommentierte, dass dieses eine „Beleidigung des Imperiums" darstelle. Wenige Briten wussten, dass der Oberste Heerführer persönlich gegen die Option eines Aufstandes gewesen war. So gab man ihm nun die Schuld an der Krise im Zusammenhang mit dem Aufstand; außerdem wurde nun allgemein sein Rücktritt gefordert.
Im September war die dringlichste Aufgabe, die Spaltung im Verhältnis zwischen Polen und Moskau zu überwinden, um die Chancen einer sowjetischen Befreiung Warschaus zu erhöhen. Die überarbeiteten Vorschläge des Premiers Mikolajczyk wurden am 30. August dem britischen Außenministerium überreicht und danach an die sowjetische Botschaft übermittelt. Jedoch zeigte das Foreign Office zum wiederholten Mal keine Bereitschaft, die Rolle eines loyalen Vermittlers zu übernehmen oder auf eine Einigung beschleunigend einzuwirken. Auch zeigte es keinerlei Eifer bei der Schaffung einer britischen Militärmission in der Heimatarmee (AK), selbst als dieses Vorhaben bereits offiziell bekannt gegeben wurde.
Während des gesamten Aufstandes war die britische Öffentlichkeit stark gespalten. Der lautstarke Teil der linksgerichteten Presse, an deren Spitze die Zeitungen „Daily Herald" und „Daily Worker" standen, die aktiv prosowjetisch eingestellt waren, wiederholten schamlos die Interpretation Moskaus, daß der Aufstand ein „krimineller Feldzug wäre ", der durch „Faschisten" und „Reaktionäre" gesteuert sei. Die durch E.H. Carr geführte Auslandsabteilung der Zeitung „The Times" urteilte ähnlich, nur waren die Worte vorsichtiger gewählt. Dennoch war die Mehrheit der Menschen einfach verwirrt. Es fehlte nicht an Lob für den Mut der Polen, doch folgten keine Erklärungen, warum die Politik der Alliierten in dieser Sache so unwirksam war. Kaum jemand verstand, woraus die Probleme entstanden waren. Außerdem wurden zu wenige Kernfragen diskutiert, wie z.B. das fehlende Einverständnis Stalins zur Errichtung einer Flugbrücke, oder die Tatenlosigkeit der Sowjets nach dem anfänglichen Verweilen der Soldaten Rokossowskis am östlichen Ufer der Weichsel. Dem Außenminister Anthony Eden wurde im Unterhaus dazu bis fast zum Ende des Aufstandes kein detaillierten Fragen gestellt.
Nur eine herausragende Stimme erklang entgegen der überwiegenden Stimmung der Zufriedenheit. Am ersten September erschien in der sozialistischen Zeitschrift „Tribune" ein scharfes Feuilleton von George Orwell, der zu dieser Zeit gerade an der „Farm der Tiere" schrieb. Er verurteilte die britische Presse allgemein, speziell aber die linken Blätter für das Fehlen von Grundsätzen. Das unmittelbare Ziel seiner Kritik war der junge Historiker Geoffrey Barraclough, der damals im britischen Außenministerium arbeitete. Doch verurteilte er die britische Öffentlichkeit insgesamt, die im verklärten Blick auf die Sowjetunion zu keinerlei ernsthaften Analyse fähig war.
Als schließlich die Heimatarmee (AK) kapituliert hatte, folgten überschwengliche Beileidsbekundungen und allgemeine Verzweiflung über die „Warschauer Tragödie". Doch es fehlte unter den einfachen Bürgern und mehr noch in Regierungskreisen die Bereitschaft zu reflektieren, inwieweit Großbritannien zu dieser Tragödie beigetragen hatte. Indem die Briten dem Ende des Krieges schon vorgriffen, waren sie wohl nicht in der Verfassung, ihre eigenen Unzulänglichkeiten zu überprüfen.
Anfang Oktober nahm Churchill Mikolajczyk mit sich nach Moskau, um die seit zwei Monaten aufgeschobenen polnisch-sowjetischen Verhandlungen erneut in Gang zu bringen. Während einer dramatischen Unterredung mit Molotow wurde aufgedeckt, dass jener ein Jahr zuvor in Teheran heimlich den Verlauf der polnisch-sowjetischen Grenze entlang der Curzon-Linie vorgeschlagen hatte. Mit anderen Worten - alle territorialen Pläne und Verhandlungen, die das Verhältnis mit Stalin vergiftet und die Chancen einer Zusammenarbeit mit ihm während des Aufstandes verringert hatten, wurden auf der Grundlage irrealer Erwartungen durchgeführt. Schamlos gestand Churchill seinen Fehler, doch später wandte sich sein Ärger gegen den polnischen Premier, den er selbst so unverzeihlich getäuscht hatte. Sicherlich war dies eine der unehrenhaftesten Episoden in der Karriere Churchills. Mikolajczyk trat wenig später zurück, und das bisherige enggeknüpfte Bündnis zwischen der britischen und der polnischen Regierung löste sich auf.
Die Ereigniskette der Jahre 1944-45 kann als Vollendung der der Dinge gesehen werden, die mit dem Aufstand in Verbindung standen. Beispielsweise die Mission Freestones zur Heimatarmee (AK), letztlich landete sie am 26. Dezember 1944 in Polen, stellte den Kontakt zum polnischen Untergrund her und fand sich in kurz danach in einem Gefängnis des NKWD wieder. Um diese Mission bat Mikolajczyk bereits im Februar, damit sie die nachrichtentechnische Zusammenarbeit und Aufklärung in der Zeit vor dem Aufstand verbessern sollte. Wie es aber einer der Teilnehmer zum Ausdruck brachte, erwies sich dies als „völlige Zeitverschwendung". Im Januar und Februar 1945 fand die Konferenz von Jalta statt. Die westlichen Oberhäupter verzichteten auf alle wesentlichen Einflüsse auf Polen und Osteuropa zugunsten einer Zusammenarbeit mit Stalin in Bezug auf Deutschland und den Fernen Osten. Eine solche Verhandlung wäre im Falle eines geglückten Aufstandes undenkbar gewesen.
Bald nach der Konferenz wurden 16 demokratische Anführer des Polnischen Untergrunds, die den Aufstand überlebt hatten und mit Sicherheit eine Schlüsselrolle in dem in Jalta für Polen vorgeschlagene System gespielt hätten, durch das NKWD verhaftet. Ihr Schauprozeß in Moskau im Juni fiel zeitlich mit der Gründung der sogenannten Regierung der Nationalen Einheit (Rzad Jednosci Narodowej) zusammen, deren Mitglieder sie unter anderen Umständen hätten sein können.
Der Hauptangeklagte General Okulicki, der erst der Stellvertreter, später der Nachfolger des Kommandanten der Heimatarmee (AK) Bor-Komorowski gewesen und der ins besetzte Europa in einem RAF-Flugzeug gekommen war, konnte in den Verhören nicht gebrochen werden, und so hielt er von der Anklagebank aus eine kämpferische Rede. Später starb er in der Lubianka. Seine britischen Verbündeten, deren Botschafter im Gerichtssaal anwesend war, protestierten nicht.
Prof. Norman Davies
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