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die Großzügigkeit der Stiftung de Brzezie Lanckoronski ermöglicht.
Mit dem kulturellen Leben des eroberten Polen verfuhren sowohl die Deutschen als auch die Sowjets ausgesprochen skrupellos. Sie versuchten es zu lähmen, seine reichhaltigen Quellen zu ersticken und die nationalbewußte, zum Widerstand fähige Intelligenz zu vernichten. Symbolträchtig für den deutschen Terror gegen die polnische Wissenschaft war die „Sonderaktion Krakau" vom 6. November 1939. Auch die Sowjets verwirklichten ihre Versionen der „Intelligenzaktion". Als Antwort darauf wurde die kulturelle Selbstverteidigung ins Leben gerufen. Gleichzeitig mit der militärischen und politischen Konspiration wurde der „Kampf" um die Kulturgüter begonnen.
Obwohl dem Mäzenat in der Tätigkeit des Polnischen Staates im Untergrund in den Jahren 1939 - 1945 keine Priorität eingeräumt wurde, so stand doch eine sowohl organisierte als auch spontane Schirmherrschaft über die Kunst, die Literatur und die Wissenschaft auf der Tagesordnung. Unter Kriegsbedingungen bedeutete das Mäzenat vorrangig die umfassende materielle Unterstützung der Wissenschaftler, Schriftsteller, Künstler und ihrer Familien. Eine spezielle Form der Fördertätigkeit stellten die Maßnahmen dar, die eine Fortführung des wissenschaftlichen, literarischen und künstlerischen Schaffens ermöglichten. Außerdem müssen die Rettungsversuche vor Raub und Beschädigung der Kunstwerke aus staatlichen und privaten Sammlungen, aus Museen, Bibliotheken und Archiven, z.B. der Werke von Jan Matejko, erwähnt werden.
Während der Polnische Staat im Untergrund die Kontinuität der Existenz der Republik aufrecht erhielt, förderte er von Anfang an die Schöpfer von Kultur, Wissenschaft und Kunst durch Einleitung von angemessenen Betreuungsmaßnahmen. Solche Aktivitäten wurden durch verschiedene Einheiten der Staatlichen Regierungsdelegatur realisiert. Eine herausragende Rolle spielte dabei die Abteilung für Kultur und Kunst - in ihren Aufgabenbereich fielen: die Literatur, das Theater, die Bibliotheken, die Archive, die Baudenkmäler, die Museen, die Musik und die bildenden Künste. Ein effektiv geführtes Mäzenat im Untergrund stellte die Gruppe für Literatur und Theater dar. Die Verteilung der finanziellen Mittel unter den Schriftsteller leitete Jaroslaw Iwaszkiewicz. Als besondere Beispiele für die Förderung gelten u.a. die Subventionierung von konspirativen Veröffentlichungen durch die Regierungsdelegatur, z. B. von W. Churchill, A. Fiedler, J. Kisielewski, als auch eine in der Auflage von 10.000 Exemplaren herausgegebenen Fibel.
Auch das Departement für Arbeit und Sozialfürsorge sammelte Mittel für die Sozialhilfe und Förderung von Wissenschaftlern und Künstlern. Im Herbst 1944 initiierte die Abteilung für Sozialfürsorge der Krakauer Kreisdelegatur die Unterstützung für Wissenschaftler aus Warschau; im Rahmen der so genannten „Warschauer Aktion" wurden 123 Familien der Hauptstadt mit Hilfe bedacht. Eine besondere Erwähnung verdient auch die durch Pfarrer Aleksander Lachowicz („Leszczyna") geleitete Abteilung der Sozialfürsorge der Vilnius-Delegatur; sie unterstützte eine Reihe von Vertretern aus Kunst und Kultur mit einer kontinuierlichen Hilfe. Eine Initiative auf dem Gebiet der Förderung übernahm das Departement Beseitigung von Kriegsfolgen. Es registrierte und dokumentierte die Verluste der Kulturgüter. Den ersten Bericht, der die Zerstörung und den Raub der polnischen Kunstwerke festhielt, wurde der Regierung der Republik Polen in Frankreich 1940 übermittelt. An der Durchführung von Betreuungsaktionen beteiligte sich auch das Departement für Innere Angelegenheiten. Er gab Verordnungen über den Schutz von Kulturdenkmälern heraus und bereitete Betreuungsmaßnahmen für Künstler und Wissenschaftler vor.
Eine wichtige Rolle spielte in der Mäzenentätigkeit die katholische Kirche. Neben der Hilfe für breite Massen der Bevölkerung (darunter auch Juden), legte sie ein besonderes Augenmerk auf die Unterstützung von Wissenschaftlern und Künstlern. Besonders verdient machte sich hierbei der Erzbischof Adam Sapieha. Eine Form der Förderung war die Beschäftigung der Künstler bei der Restaurierung sakraler Objekte. Betreuungsaktionen wurden auch von katholischen (in der Regel von den Besatzern verbotenen) Organisationen durchgeführt: vom Verband „Caritas", der Marien-Sodalität, von der akademischen Gesellschaft „Odrodzenie"und von der Katholischen Aktion. Die Krakauer Franziskaner bewahrten die Glasfenster von Stefan Wyspianski und Josef Mehoffer auf. Betreuungsaufgaben übernahmen auch der Adel und Gutsbesitzer. Viele Schlösser und Landhäuser wurden zum Asyl für die Vertreter aus Wissenschaft und Kultur. Adel und Gutsbesitzer gewährten ihren „Untermietern" ein Dach über dem Kopf sowie Verpflegung und schufen so die Bedingungen für die schöpferische Arbeit. Ein Beispiel hierfür war das Handeln von Janusz Radziwill aus Nieborow.
Betreuungstätigkeiten in großem Maßstab konnten nur legale, also durch die Besetzer tolerierten karitativen Organisationen, vor allem der Oberste Betreuungsrat (RGO) durchführen. Außer der Hilfe, mit der der RGO die Aussiedler, Gefangenen, die Stalag- und Oflag-Gefangenen und die Flüchtlinge aus Wolynien und Podolien bedachte, wies er auch Gelder für die Rettung der nationalen Kultur an. Derselbe Rat unterstützte auch Warschauer und Krakauer Musiker, Maler, Bildhauer und Graphiker.
Die materielle Lage der Künstler und Wissenschaftler war von ihrer Haltung zu den Besatzern abhängig. Für die Mehrzahl war die Fortsetzung ihrer schöpferischen Tätigkeit mit dem Verlust der Verdienstmöglichkeiten verbunden. Trotzdem vernachlässigte ein erheblicher Prozentsatz seine Arbeit nicht. Es gründeten sich Künstlergruppen im Krieg, zum Beispiel die Warschauer Künstlergruppe in Bacciarelowka und die Krakauer Gruppe der Jungen Bildenden Künstler (Grupa Mlodych Plastykow ). Bestellungen von Seiten privater Sammler und Kunstmäzene wurden geäußert. Dank der Fördertätigkeit konnten geheime Vernissagen und Ausstellungen der bildenden Künste in Krakau, Warschau, Lwow, Vilnius, Lublin, Radom, Sandomierz, Kielce, Zakopane, Nowy Sacz und Bialystok stattfinden. Die Rolle eines wichtigen Förderers und Sponsors für die Arbeiten bildender Künstler übernahmen die Geschäftsstellen des Staates im Untergrund. Die Bestellungen gingen vom Büro für Information und Propaganda der Hauptkommandantur der Heimatarmee (AK) und von den Einheiten der Regierungsdelegatur aus. Die erwähnte Abteilung für Kultur und Kunst kam nicht nur Betreuungsaufgaben nach, sondern sie finanzierte die Kunst, vergab Stipendien, bestellte Bilder und Plastiken. Die Unterstützung der Regierunsdelegatur umfasste auch das Musikleben, wodurch trotz der Beschränkungen und Verfolgungen, die polnische Musikbewegung nicht vollständig zum Stillstand kam. Die Teilnahme an geheimen Konzerten wurde damit sogar zu einem Zeichen des Widerstandes. Die Aufgabe der Förderung übernahmen auch künstlerische Genossenschaften, beispielsweise in Krakau und Warschau. Ähnlich verfuhren Antiquariate, Kunstsalons, Cafés und private Betreuer und Sponsoren. Der Geheimer Theaterrat (Tajna Rada Teatralna) kam der Schauspielerszene zu Hilfe. Er teilte Unterstützungen für Schauspieler zu, welche die Theater der Besatzer boykottierten. Außerdem entwickelte sich auch ein Untergrundtheater, das durch private Mäzene gefördert wurde. Die Aufführungen (Rezitationen) wurden in Wohnungen, Schulen und Kirchen organisiert. Im konspirativen Krakauer Rhapsodischen Theater (Teatr Rapsodyczny) trat Karol Wojtyla auf.
In Zeiten der Bedrohung der nationalen Existenz gewannen Bücher mehr und mehr an Bedeutung. Die Okkupanten verbannten die nationale Literatur in den Untergrund. Sie vernichteten Bestände der Bibliotheken, z.B. die Bibliothek des Sejms und Senats, die Bibliothek des Przezdziecki-Nachlasses, die Bibliothek des Zamoyski-Nachlasses, die Zentrale Militär-Bibliothek mit den Rapperswilski-Beständen. In dieser Situation wurde ein wahrer Krieg um die Bücher begonnen. Es wurde ein konspirativer Vertrieb von geretteten Vorkriegsveröffentlichungen durchgeführt, so z.B. in Warschau, Krakau, Lwow, Grodno, Vilnius, Mielec, Przeworsk, Rzeszow, Brzozow und Nowy Sacz. Durch den Einsatz des Krakauer Buchhändlers und Herausgebers Stefan Kaminski gelang es, eine große Anzahl von Büchern zu retten, die von den Deutschen in Großpolen, Pommern und Lwow geraubt worden waren. Kaminski war auch ein Förderer, der Autorenverträge für zweihundert wissenschaftliche und literarische Veröffentlichungen vorbereitete, von denen einhundertdreißig nach dem Krieg erschienen. Eine solche Form der Förderung wurde des öfteren angewandt. Verträge wurden abgeschlossen, Honorare und Anzahlungen ausbezahlt. Die Rolle eines „Büchermäzens" in Warschau spielte Stanislaw Arct. Eine Unterstützung für die Autoren organisierte der Verlag Gebethner und Wolff; Autorenhonorare erhielten: Kornel Makuszynski, Juliusz Kaden-Bandrowski, Jan Marcin Szancer, Zofia Nalkowska und die Familie des im Offizierslager gefangenen Leon Kruczkowski. Ähnlich verfuhren der Verlag „Ossolineum" und Verlagsdruckereien „Biblioteka Polska", „Nasza Ksiegarnia", Trzaska Evert-Michalski, die Bücherei „Atlas" in Lwow und „Sw. Wojciech" in Poznan. Der Publizist und Satiriker Zbigniew Mitzner beglich die Anzahlungen für einhundertfünfzig Werke. Er war es, der den Vertrag mit Krzysztof Kamil Baczynski unterzeichnete.
Nicht unerwähnt sollte hier die Betreuungs- und Förderungstätigkeit bleiben, die während des zweiten Weltkrieges von der Emigration aus durchgeführt wurde. Doch bezog sich diese nicht nur auf einzelne polnische Gruppierungen sondern war vor allem an die Bevölkerung im besetzten Land gerichtet. Die Regierung der Republik Polen im Exil koordinierte auch die im Land durchgeführte Aktion der Registrierung und Dokumentierung von Zerstörung und Diebstahl polnischer Kunstwerke. Ein wichtiger Teil der Förderungstätigkeit im Exil wurde durch den am 10. Januar 1940 wieder ins Leben gerufenen Nationalen Kulturfonds (Fundusz Kultury Narodowej) inspiriert und geleitet.
Das Kriegsmäzent - sowohl im Untergrund, als auch im Exil wurde sehr ernst genommen. Im allgemeinen war man sich des Ranges und der Bedeutung der Betreuungsaktion für die nationale Kultur bewusst. Obwohl viele Künstler und Wissenschaftler vor der Vernichtung nicht verschont und viele materielle Kunstgüter nicht erhalten werden konnten, so war doch nirgendwo sonst im besetzten Europa das Mäzenentum - durch den Untergrundstaat und durch Privatpersonen so umfassend komplex und wirksam. Die Mäzenentätigkeit des polnischen Untergrundstaates war frei von irgendwelchen ideologischen Präferenzen. Die Betreuung, mit der die „wertvollen Individuen" bedacht wurden, war nicht abhängig von politischen Sympathien. Sie bedeutete eine Form des gesellschaftlichen Widerstandes in der Verteidigung der nationalen Bindungen und war durch Gedankengut, Kultur und Tradition gekennzeichnet.
Dr Grzegorz Ostasz
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